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Der tapfere Stieglitz … 

Ausgabe September 2009

Ein Märchen aus Rumänien 

Entdeckt von Winfried H. Aderhold

Dieser Winter war besonders kalt gewesen. Eine dicke Eisschicht bedeckte die Felder; kein Hälmchen guckte mehr heraus, und die Knospen der Haselbüsche und Erlen wagten sich nicht hervor. Die Haubentaucher und Stockenten zogen sich zu den letzten offenen Stellen des Sees zurück, aber bald war alles zugefroren. „Wir müssen alle elend sterben in diesem schrecklichen Winter!“ klagten die Vögel. Zitternd hockten die Meisen und Dompfaffen in den Ästen; die Baumläufer und Spechte krochen noch tiefer in die Astlöcher hinein. Da kam der große Adler, der König der Vögel, von den hohen Bergen ins tiefe Tal geflogen und rief: „Wir müssen ein paar warme Sonnenstrahlen vom Himmel holen, sonst erfrieren wir alle.” „Du bist der größte und stärkste unter uns!” riefen alle Vögel. „Du kannst es wagen bis zur Sonne zufliegen”. Sie baten ihn: „Großer König, flieg empor zur Sonne, und trage für uns arme, schwache Vögel das warme Licht herab.” Aber der Adler schüttelte den Kopf: „Euer König darf sich nicht in Gefahr begeben“, rief er. „Nein, da muss sich schon jemand anderes emporschwingen.” „Ich würde ja gerne fliegen „krächzte der Rabe, „aber mit meinen alten Knochen bin ich dazu nicht mehr imstande. “So hatten auch die anderen großen Vögel ihre Ausrede bereit. Der Habicht meinte, er hätte zu viele Federnverloren. Der Falke sagte, er sei auf einem Auge blind, und die Eule heulte aus ihrem Versteckheraus: „ Nein ich fliege nicht am Tage, das Licht ist mir viel zu grell und tut mir in den Augen weh.” „Dann muss es eben einer der kleinen Vögel wagen!” schrie der Adler. „Sonst werden wir alle in dieser Kälte erfrieren.” „Nein wir können nur singen!” piepsten die Lerchen und die Meisen und die Nachtigall. Da trat der unscheinbare graue Stieglitz hervor und sagte ganz mutig; „Ich will es versuchen! Bis zur Sonne will ich fliegen!” Und er flog immer höher und höher. Glühend lag vor ihm der gewaltige Sonnenball wie ein riesiger Backofen. Mit letzter Kraft ergriff er einen Sonnenstrahl und schwang sich erschöpft zur Erde zurück. Die Tiere spürten voller Freude die Wärme, die das Eis schmelzen ließ. Die Vögel hüpften in den Zweigen herum und sangen hell ihre Frühlingslieder. Da sah eine kleine Meise den schüchternen kleinen Stieglitz mit seinem unscheinbaren Gefieder auf einem Zweig sitzen. Sie rief den anderen Vögeln zu: „Seht den grauen Stieglitz an, er hat uns alle gerettet! Schenkt ihm zum Dank eure schönsten Federn!

“Und so ist es gekommen, dass der Stieglitz ein schwarz-weiss-rotes Köpfchenträgt und dazu ein Gefieder mit vielen bunten Federn !!

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